Staatsausgaben

Schuldenbremse: Abschaffen, nicht reformieren!

| 21. Februar 2024
@midjourney

Reformbefürworter der Schuldenbremse fordern häufig, öffentliche Investitionen von der Schuldenregel auszunehmen. Doch das reicht nicht.

Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse scheint allmählich an Akzeptanz zu verlieren. Zwar wird selten für die Abschaffung, aber zunehmend für eine Reform der Schuldenregel plädiert. Ziel einer solchen Reform soll offenbar sein, zukünftig nur noch die Aufnahme „guter“ oder „sinnvoller“ Schulden zuzulassen, diejenige „schlechter“ oder „schädlicher“ Schulden dagegen zu unterbinden. Weitgehender Konsens besteht darin, dass Schulden für investive Staatsausgaben gut, sie aber für konsumtive Staatsausgaben schlecht sind.

In diese Richtung geht auch die Argumentation des Ökonomen Jens Südekum bei Deutschlandfunk: Die Schuldenbremse solle nur für konsumtive Ausgaben des Staates (also inklusive Transferzahlungen und Renten) gelten. Eine Kreditfinanzierung öffentlicher Investitionen dagegen müsse erlaubt sein. Der Reformvorschlag von Berlins Bürgermeister Kai Wegner (CDU) geht in die gleiche Richtung: „Es darf Kredite ausschließlich für Investitionen geben – Kredite für konsumtive Ausgaben sind tabu.“

Auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), und Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), halten die Schuldenbremse in ihrer gegenwärtigen Form für nicht mehr zeitgemäß: Notwendig seien eine Unterscheidung zwischen Konsum und Investitionen und die Schaffung von finanziellen Spielräumen für Investitionen. 

Bei einer Umfrage vom ifo Institut und der FAZ unter 187 VWL-Professoren von Ende letzten Jahres sprachen sich etwa die Hälfte der Befragen für eine „Reform oder Abschaffung der Schuldenbremse“ aus. Die meisten unter ihnen befürworteten eine Ausnahmeregel für Investitionen.

Investitionen bei Keynes

Für eine Bewertung der Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse ist es unabdingbar, die Rolle von Investitionen und staatlicher Verschuldung in einer Geldwirtschaft zu analysieren. Hierbei helfen die Gedanken von John Maynard Keynes weiter.

Dieser befasst sich in seiner „General Theory“ mit den nachfrageseitigen Effekten der Investitionen: Steigende Investitionen erzeugen Einkommen, das wiederum zu Konsumausgaben über den Multiplikator [1] führt. In seinem Ansatz "treiben" die Fluktuationen der Investitionen die Volkswirtschaft an. Da Keynes vor allem daran interessiert war, die Bestimmung der gesamtwirtschaftlichen Produktion und der Beschäftigung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erklären, tendiert er dazu, die Produktionskapazität der Wirtschaft (kurzfristig) konstant zu halten. Das heißt, er behandelt Investitionen nur als ein einkommensschaffendes Instrument, lässt aber ihre Auswirkungen auf die Kapazität unberücksichtigt.

Ob die Wirtschaft voll ausgelastet ist oder erhebliche Überkapazitäten aufweist, kann dann auf die Höhe der effektiven Nachfrage zurückgeführt werden, die wiederum eine Funktion der Investitionsmenge ist. Wenn die Volkswirtschaft unterhalb ihrer vollen Kapazität operiert, ist es erforderlich, die effektive Nachfrage zu erhöhen – entweder durch die Förderung von mehr Investitionen oder durch die Erhöhung einer der anderen Komponenten der Nachfrage (zum Beispiel Staatsausgaben oder Exporte).

Der duale Effekt von Investitionen

Der US-Ökonom Evsey Domar hatte jedoch schon früh erkannt, dass man nicht den Kapazitätszuwachs als Folge der Investitionen ignorieren dürfe.

In einem Buch aus dem Jahr 1957 befasst er sich mit dem „dualen Charakter des Investitionsprozesses; das heißt mit der Tatsache, dass Investitionen nicht nur Einkommen erzeugen, sondern auch die Produktionskapazität erhöhen.“ Investitionen steigern einerseits die unmittelbare Gesamtnachfrage in der gegenwärtigen Zeitperiode, indem sie Einkommen erzeugen, das für Konsumausgaben verwendet wird. Andererseits erhöhen sie die volkswirtschaftliche Produktionskapazität in der nächsten Zeitperiode, indem sie Ausrüstungen wie Maschinen und Produktionsanlagen sowie Bauten und sonstige Anlagen hinzufügen.

Folglich muss die Gesamtnachfrage in der nächsten Zeitperiode wieder höher sein, um dem Kapazitätswachstum zu entsprechen und Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Etwas pointiert lässt sich sagen, dass die Ausgabenseite der Volkswirtschaft immer dem von ihr geschaffenen Kapazitätszuwachs hinterherläuft. Technologischer Fortschritt und Innovationen steigern den investiven Kapazitätseffekt.

Oder etwas genauer: Ein Teil der Bruttoinvestitionen dient der Erneuerung des Teils des Produktionsapparates, der durch Verschleiß und Veraltung ausscheidet. Hingegen erhöhen Nettoinvestitionen die Produktionskapazität. Während eine Zunahme der Investitionen die Gesamtnachfrage erhöht (durch den Multiplikator), steigert ein konstantes Niveau der Nettoinvestitionen fortwährend das potenzielle Gesamtangebot. Die erhöhte Nachfrage, welche durch die zusätzlichen Investitionen geschaffen wird, muss daher so groß sein, dass sie das erhöhte potenzielle Angebot aufnehmen kann.

Nun gibt es aber keine Garantie, dass die zusätzliche Nachfrage die zusätzliche Kapazität absorbiert, also der nachfrageseitige Investitionseffekt genauso groß ist wie der angebotsseitige. Wenn die Nettoinvestitionen konstant sind und dies die Kapazität mit einer konstanten Rate erhöht, ist es höchst unwahrscheinlich, dass die Gesamtnachfrage rasch genug wächst, um eine volle Auslastung des Kapitalstocks zu ermöglichen.

Ein Grund dafür liegt in der Persistenz des Kapazitätseffekts: Zwar ist es nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, dass der Anstieg des Volkseinkommens größer ist als derjenige der Kapazität. Aber das Problem besteht darin, dass die Einkommenszunahme temporär ist – das heißt, mit der Zeit immer geringer wird und schließlich zum Ende kommt (der übliche Multiplikatoreffekt) – während die Kapazität dauerhaft erhöht wird.

Der duale Effekt der Investitionen – einerseits über den Multiplikatoreffekt Einkommen zu erzeugen, andererseits die Produktionskapazität zu steigern – wirkt sich entsprechend zwiespältig auf den Arbeitsmarkt aus. Domar schreibt:

„Was die Arbeitslosigkeit anbelangt, so sind die Investitionen gleichzeitig ein Heilmittel für die Krankheit und die Ursache für noch größere Übel in der Zukunft.“

Erweiterung des „Domar-Problems“

Die beiden US-Ökonomen John Walker und Harold Vatter, deren zahlreichen Artikeln und Büchern zufolge die US-Wirtschaft seit langem an einer unzureichenden Gesamtnachfrage leidet, gehen mit ihren Überlegungen noch einen Schritt weiter: So lasse sich zeigen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Kapitalproduktivität (das Produktionsergebnis bezogen auf den Kapitaleinsatz in der Volkswirtschaft) in den USA mindestens um ein Drittel höher war als vor dem Krieg. Aufgrund kapitalsparender Wirkungen technischer Neuerungen sei ein geringerer Einsatz von Kapitaleinheiten je Produktmengeneinheit notwendig, so dass die angebotsseitigen Effekte der Investitionen beständig die nachfrageseitigen Multiplikatoreffekte überstiegen – wenn beispielsweise ein gleichbleibendes Niveau an Nettoinvestitionen die Kapazität mit einer steigenden Rate erhöhe.

An diese Überlegungen knüpft der prominente Vertreter der Modern Monetary Theory (MMT), L. Randall Wray, an. Laut Wray kann der sogenannte Akzelerator das Problem noch verstärken: Der Anstieg des Volkseinkommens durch den Multiplikator regt mehr Investitionen durch den Akzelerator an. Nach dem Akzelerator-Modell vergrößern die Unternehmen ihren Kapitalstock durch Investitionsausgaben, um genügend Kapital zur Produktion der erwarteten Nachfrage nach ihren Produkten zur Verfügung zu haben.

Unter diesen Voraussetzungen gibt es nur eine Möglichkeit, die zusätzliche Kapazität zu nutzen: Andere Nachfragearten – wie zum Beispiel Ausgaben der privaten Haushalte, des Auslands oder Staatsausgaben – müssen erhöht werden. Unter normalen Umständen sei ein Wachstum der Staatsausgaben erforderlich, um die Kapazität zu absorbieren, welche durch die privaten Investitionen geschaffen wurde. Etwas genauer: Die Staatsausgaben müssten schneller wachsen als das BIP, wenn eine Stagnation verhindert werden solle.

Ein anderer Blick auf Budgetdefizite und Staatsschulden

Gefordert sei mithin nicht eine antizyklische Variation der Staatsausgaben zur Dämpfung der Konjunkturschwankungen, sondern ein deutlicher Anstieg der Staatsausgaben, wenn die Investitionen zunehmen (um die erzeugte Kapazität zu absorbieren), und ebenso, wenn die Investitionen sinken (um einen Einbruch der effektiven Nachfrage zu verhindern). Erhöhe eine Regierung ihre Ausgaben und die Beschäftigung in einer Rezession, um dann den fiskalpolitischen Stimulus zurückzunehmen, wenn eine Expansion der Wirtschaft einsetze, stelle sie damit eine Situation der Überschusskapazität wieder her.

Dieser Blick auf Staatsdefizite und Staatsverschuldung unterscheidet sich fundamental von dem der traditionellen Ökonomik: Staatliche Haushaltsdefizite seien der Normalfall und stabilisierten die Wirtschaftstätigkeit. Die Staatsschulden brauchten und würden nicht final zurückgezahlt werden und eine höhere Staatsverschuldung führe nicht zu höheren Steuersätzen. Walker und Vatter sehen in den USA einen langfristigen Trend zum (absoluten) Anstieg der Staatsschulden:

„Da die Schulden nie abgebaut werden, müssen auch keine Steuern auferlegt werden, um sie zurückzuzahlen. Ein Teil der Schulden wird regelmäßig getilgt. Die Rückzahlung fälliger Anleihen wird durch die Ausgabe neuer Anleihen finanziert, nicht aber durch die Erhebung von Steuern, um die Schulden zu tilgen. Der generelle Trend der Staatsverschuldung in der amerikanischen Geschichte ist steigend.“

Diese Analyse ist im Wesentlichen schlüssig, wenngleich die Bedeutung des angeführten Anstiegs der Kapitalproduktivität relativiert werden muss: Zwar gibt es in den Industrieländern tatsächlich Phasen mit einer steigenden, jedoch auch solche mit einer sinkenden Kapitalproduktivität. So stellt etwa Trofimov in einer empirischen Untersuchung für 22 OECD-Länder im Zeitraum von 1961 bis 2014 sowohl Aufwärts- wie auch Abwärtstrends in der Kapitalproduktivität fest.

Reproduktive und unreproduktive Staatsausgaben

Zu ergänzen ist auf der anderen Seite, dass auch Staatsausgaben die Produktionskapazität der Volkswirtschaft erhöhen. Damit können auch sie das Problem einer Zunahme der Gesamtnachfrage, die dem Kapazitätswachstum hinterherhinkt, vergrößern.

Hier ist die Unterscheidung zwischen reproduktiven und unreproduktiven Staatsausgaben sinnvoll, die in der politökonomischen Diskussion der späten 1970er und frühen 1980er Jahre entwickelt wurde. Als reproduktiv werden Staatsausgaben für reproduktive Gebrauchswerte bezeichnet – das heißt, für alle Gebrauchswerte, die von neuem in den gesellschaftlichen Produktionsprozess eingehen und sich dort erneut reproduzieren (obschon nicht in der gleichen stofflichen Gestalt). Durch diese Ausgaben wird die gesellschaftliche Reproduktion des Kapitals sowie der Arbeitskraft ermöglicht.

Reproduktive Staatsausgaben erhöhen im Allgemeinen die Arbeitsproduktivität. Am offensichtlichsten und vielleicht auch am besten belegt ist dies bei staatlichen Infrastrukturausgaben: Bereits in den 1980er Jahren hatte David Aschauer in zwei bahnbrechenden Artikeln (hier und hier) einen Zusammenhang zwischen gesteigerten Staatsausgaben und einem erhöhten Produktions- und Produktivitätswachstum nachgewiesen. Seine empirischen Ergebnisse zeigen, dass eine „Kerninfrastruktur“ aus Straßen, Flughäfen, Massenverkehrsmitteln, Kanalisationssystemen, Wasserversorgung und so weiter eine hohe Erklärungskraft für die Produktivität hat.

Mehrere empirische Forschungsartikel anderer Autoren, die durch Aschauers Untersuchungen motiviert wurden, kommen zu ähnlichen Resultaten [2]: Sie demonstrieren beispielsweise, dass die Verlangsamung des Wachstums der Arbeitsproduktivität in den USA in den 1970er und 1980er Jahren auf einen Rückgang des Wachstums der öffentlichen Infrastruktur zurückzuführen ist, dass allgemein Ausgaben für die öffentliche Infrastruktur einen positiven und statistisch signifikanten Effekt auf die Produktivität und damit auf das Wirtschaftswachstum haben sowie dass sich private und öffentliche Investitionsausgaben in der Produktion ergänzen und nicht miteinander konkurrieren (bzw. keine Substitute darstellen).

Unreproduktiv sind demgegenüber Staatsausgaben für Gebrauchswerte, die nicht wieder in den Produktionsprozess eingehen (zum Beispiel Ausgaben für Militär, innere Sicherheit usw.). Diese Ausgaben sind Mittel zur politischen, militärischen, polizeilichen, administrativen, rechtlichen und kulturellen Sicherung des Gesamtsystems.

Während reproduktive Ausgaben das „Domar-Problem“ verschärfen können, dienen unreproduktive Ausgaben nicht der Kapazitätsausweitung und erhöhen nicht die Arbeitsproduktivität. Sie sind bezüglich des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses – ökonomisch betrachtet – funktionslos (eben nicht-reproduktiv), auch wenn sie in einem weiter gefassten Sinne ebenso notwendig für die Reproduktion des politisch-ökonomischen Gesamtsystems sind. Anders als reproduktive Staatsausgaben sind also unreproduktive Staatsausgaben hinsichtlich des „Domar-Problems“ nicht relevant.

Die Wirkungen öffentlicher Investitionsausgaben

Was folgt daraus? Zunächst einmal ist festzustellen, dass nicht alle Investitionsausgaben reproduktiv sind. Dies gilt in besonderem Maße für Staatsinvestitionen: So zählen seit der Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 2014 auch Ausgaben für militärische Waffensysteme (also etwa Panzer oder Militärflugzeuge), zu Investitionen, obgleich es sich dabei eindeutig um unreproduktive Gebrauchswerte handelt. Zuvor wurden sie noch als Staatskonsum behandelt. Sieht man einmal von solchen Besonderheiten ab, lässt sich dennoch feststellen, dass die Investitionsausgaben des Staates nicht nur die Gesamtnachfrage, sondern auch – zwar nicht in gleicher Weise wie die privaten Investitionsausgaben, aber doch mehr als staatliche Konsumausgaben – die Produktionskapazität, das Angebot und damit die zu schließende Nachfragelücke vergrößern.

Um die Wachstumseffekte öffentlicher Investitionsausgaben zu ermitteln, kann auf den sogenannten „Fiskalmultiplikator“ zurückgegriffen werden. Dieser gibt an, um wieviel Euro das Bruttoinlandsprodukt der Volkswirtschaft steigt, wenn die (kreditfinanzierten) Staatsausgaben um einen Euro erhöht werden. Führt zum Beispiel eine öffentliche Investition in Höhe von 10 Milliarden Euro zu einer Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktion in einem bestimmten Zeitraum um 15 Milliarden Euro, so ergibt sich ein Fiskalmultiplikator von 1,5.

Sebastian Gechert kommt in einer Meta-Regressionsanalyse[3] von 104 empirischen Studien aus den Jahren 1992 bis 2012 zum Fiskalmultiplikator zum Ergebnis, dass die Multiplikatoren ausgabeseitiger Maßnahmen im Durchschnitt bei nahe 1 liegen. Dies bedeutet: Werden die staatlichen Ausgaben um einen Euro erhöht, wächst das BIP ungefähr um den gleichen Betrag. Bei öffentlichen Investitionen ist die Wirkung mit durchschnittlichen Multiplikatoren im Bereich von etwa 1,3 bis 1,8 noch signifikant höher. Gecherts Untersuchung zeigt mihin, dass von öffentlichen Investitionen der größte Effekt auf das Wachstum ausgeht.

Die Wirkungen konsumtiver Staatsausgaben

Aber auch Ausgabenposten wie Gesundheit, soziale Sicherung und Bildung, die als konsumtive Staatsausgaben der gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeitskraft dienen, sorgen nicht nur für das Wohlergehen der heutigen Generationen. Sie sind auch langfristig für eine verbesserte Produktivität von Bedeutung. Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität aber bestimmt maßgeblich das Wirtschaftswachstum. Insbesondere öffentlichen Bildungsausgaben wird damit berechtigterweise zumeist ein positiver Effekt auf das Wachstum zugeschrieben, während der positive Einfluss der Gesundheitsversorgung und sozialen Sicherheit häufig (zu Unrecht) wenig Beachtung findet beziehungsweise schlicht geleugnet wird.

Empirische Befunde hinsichtlich der Wachstumseffekte öffentlicher Bildungsausgaben – die oft stellvertretend für sogenannte „Humankapitalausgaben“ verwendet werden – sind weniger eindeutig als Evidenzen hinsichtlich der Wachstumswirkungen öffentlicher Investitionen. So zeigen Nikos Benos und Stefania Zotou in einer Meta-Regressionsanalyse von 57 Studien, dass der tatsächliche Wachstumseffekt der Bildung in den Studien in Abhängigkeit von mehreren Faktoren – darunter vor allem Unterschieden bei der Messung von Bildung – variiert. Insgesamt scheint nach dieser Analyse eine Erhöhung der Bildungsausgaben einen nur relativ geringen positiven Effekt auf das Wirtschaftswachstum auszuüben.

Vergleicht man die Werte der Multiplikatoren für verschiedene fiskalische Impulse, so erweisen sich – wie die oben genannte Studie von Gechert zeigt – öffentliche Investitionen als am wirksamsten, damit auch wirksamer als ein höherer Staatskonsum (inklusive Bildungsausgaben). Das heißt: Der Fiskalmultiplikator ist für investive Staatsausgaben höher als für konsumtive Ausgaben.

Beide Ausgabenarten sind wichtig

Investive Staatsausgaben vergrößern also, sofern sie nicht unreproduktiver Art sind (wie etwa Ausgaben für Kampfflugzeuge oder Panzer), tendenziell das „Domar-Problem“ – zwar nicht in gleichem Ausmaß wie private Investitionen, jedoch stärker als konsumtive Staatsausgaben. Es ist deshalb nicht einsichtig, warum nur öffentliche Investitionen von der Schuldenbremse (und damit von einer Begrenzung) ausgenommen werden sollen.

Viele frühere Keynesianer dachten ganz anders: Ihnen war der oben beschriebene Kapazitätseffekt der staatlichen und der privaten Investitionen durchaus bewusst. Daraus resultiert laut Georgios Stamatis eine „gewisse Vorliebe der keynesianischen Theorie für konsumtive Staatsausgaben bzw. für staatliche Maßnahmen, die den privaten Konsum anheben sollen“.

Natürlich darf daraus nun nicht die umgekehrte Forderung abgeleitet werden, dass künftig kreditfinanzierte staatliche Konsumausgaben, nicht aber kreditfinanzierte öffentliche Investitionen von der Schuldenregel ausgenommen sein sollten. Dies wäre allein deshalb unsinnig, weil umfangreiche öffentliche Investitionen eine Grundvoraussetzung für den dringend erforderlichen sozial-ökologischen Umbau sind – was wiederum bedeutet, dass die Budgetdefizite steigen und über einen ausgedehnten Zeitraum auf erhöhtem Niveau gehalten werden müssen.

Staatliche Investitions- und Konsumausgaben unterscheiden sich in ihren Wirkungen, haben jeweils gewisse Vorzüge und Nachteile. Sie sind aber beide (zumindest langfristig) von großer Bedeutung für die Produktivitäts- und Wachstumsentwicklung und/oder die Reproduktion des politisch-ökonomischen Gesamtsystems.

Problematische Abgrenzungen und Trennungen

Dabei ist die Unterteilung in investive und konsumtive Ausgaben teilweise willkürlich und unplausibel:  So werden nach der Statistikrevision von 2014 nicht nur – wie bereits erwähnt – Ausgaben für militärische Waffensysteme, sondern auch Forschungs- und Entwicklungsausgaben zu den Investitionen gezählt. Beides galt zuvor als Staatskonsum. Bildungsausgaben, die durchaus Ähnlichkeiten mit den Forschungs- und Entwicklungsausgaben aufweisen, werden dagegen traditionell als Konsum angesehen. Wenig sinnvoll erscheint auf der anderen Seite der Vorschlag, die Bildungsausgaben als sogenannte „Humankapitalinvestitionen“ den klassischen Investitionen zuzuordnen, um sie so mit Hilfe des mehr als zweifelhaften Humankapital-Konzepts von der neu gestalteten Schuldenbremse zu befreien.

Wie problematisch die Idee ist, nur öffentliche Investitionen von der Schuldenregel auszunehmen, zeigt sich überdies daran, dass sich investive und konsumtive Staatsausgaben oft komplementär verhalten: So erfordert etwa eine erhöhte Bereitstellung öffentlicher Güter nicht nur mehr Investitionen, sondern auch entsprechende Personalkapazitäten, die laufende und damit konsumtive Kosten darstellen.

In Deutschland wurde dies deutlich (nach einem Bericht des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium), nachdem eben diese Personalkapazitäten im Zuge der rückläufigen öffentlichen Investitionen bei Bundesländern und Kommunen seit Mitte der 1990er Jahre deutlich verringert worden waren und in der Folge insbesondere viele Kommunen größere Investitionsprojekte nicht mehr ohne erhebliche Verzögerungen planen und durchführen konnten. Teilweise wurden zusätzlich vom Bund und von den Ländern bereitgestellte Investitionsmittel gar nicht mehr abgerufen.

Die anzustrebende Budgetposition

Die deutsche Schuldenbremse bleibt mithin auch dann ein mehr als zweifelhaftes Instrument, wenn investive Staatsausgaben von der Regelung ausgenommen werden. Nach der „Modern Monetary Theory“ (MMT) wird das wünschenswerte Defizitergebnis zu jedem Zeitpunkt als eine Funktion des Standes der Ausgaben des Nicht-Bundessektors und der Auslastung der Produktionskapazität der Volkswirtschaft betrachtet. Zum Nicht-Bundessektorr gehören der inländische Privatsektor (Haushalte und Unternehmen inklusive Geschäftsbanken), die Länder und Gemeinden sowie der ausländische Sektor.

Folglich sind fiskalische Regeln nur dann sinnvoll, wenn sie sich darauf – also auf die Ausgabensituation des Nicht-Bundessektors und die Nutzung der Produktionskapazität der Wirtschaft – beziehen. Was ist damit gemeint?

Wie schon oft auf MAKROSKOP dargestellt, unterliegt ein währungssouveräner Staat keinen intrinsischen finanziellen Beschränkungen, da er seine Ausgaben durch die Emission seiner eigenen Währung finanziert – in der Form von Zentralbankreserven. Es besteht damit niemals ein Solvenz-Risiko. Dies gilt sowohl für die finale Rückzahlung der Schulden bei Fälligkeit als auch für die Bedienung der Schulden durch Zinszahlungen. Es ist schlichtweg unmöglich, dass einem währungssouveränen Staat sein eigenes Geld, das er in beliebiger Höhe schaffen kann, (unfreiwillig) ausgeht.

Dies bedeutet aber nicht, dass eine Regierung so viel ausgeben kann oder sollte, wie sie will. Denn es droht Inflation, wenn die Politik die Nachfrage über die Produktionskapazität eines Landes hinaustreibt. Erhöhte Staatsausgaben wirken so lange nicht inflationär, wie ungenutzte reale Ressourcen – einschließlich verfügbarer Arbeitskräfte – vorhanden sind, die einer produktiven Verwendung zugeführt werden können. Solange der Zuwachs der nominalen Gesamtnachfrage unterhalb des Wachstums der realen Produktionskapazität liegt, besteht keine Inflationsgefahr.

Statt mit einer „Schuldenbremse“ oder mit anderen Regelungen eine Defizitgrenze vorzugeben, sollte die Regierung versuchen, ihren Haushaltssaldo auf das Niveau zu bringen, das erforderlich ist, um die Ausgaben- und Nettosparentscheidungen des Nicht-Bundessektors zu unterstützen und gleichzeitig Vollbeschäftigung aufrechtzuerhalten. Wenn der Nicht-Bundessektor – wie dies üblicherweise geschieht – auch in Zeiten einer wirtschaftlichen Expansion einen Finanzierungsüberschuss erzielen möchte, erfordert dies auch während einer Expansion ein Defizit der Regierung. Kontinuierliche Budgetdefizite stellen kein Problem dar: Sie können zeitlich unbegrenzt beibehalten werden, ohne einen Inflationsdruck auszulösen, solange das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage das Wachstum der Produktionskapazität nicht übersteigt.

Dass die zusätzliche Nachfrage die zusätzliche Kapazität übertrifft, ist aber eher unwahrscheinlich, allein schon (aber nicht nur) wegen des beschriebenen Domar-Problems. Stattdessen entsteht in einem auf Geld und Kredit basierenden Wirtschaftssystem regelmäßig eine Nachfragelücke des Nicht-Bundessektors, die ausgeglichen werden muss. Die Aufgabe der Regierung besteht somit darin, diese Lücke mit Hilfe ihrer Fiskalpolitik zu schließen, indem sie das staatliche Budgetdefizit entsprechend ansteigen lässt. Fakt ist dann auch, dass die meisten souveränen Regierungen im Normalfall fast durchgängig Defizite aufweisen und nur selten, wenn überhaupt, einen relevanten Teil ihrer Schulden zurückzahlen.

Zwänge der Währungsunion?

Nun ließe sich einwenden, dass die bisherigen Ausführungen vollumfänglich nur für währungssouveräne Länder (also zum Beispiel die USA, Großbritannien oder Japan) gelten, nicht aber für Deutschland und die anderen Länder der Eurozone, die mit dem Euro faktisch eine fremde Währung verwenden. Jedoch ist die Europäische Zentralbank (EZB) wie jede andere Zentralbank nicht mit finanziellen Einschränkungen konfrontiert. Sie kann also ohne Weiteres die Ausgabenerfordernisse der Euroländer unterstützen, indem sie die notwendigen Geldmittel „aus dem Nichts“ schafft, wie sie mit mehreren groß angelegten Anleihekaufprogrammen seit Mai 2010 (die faktisch der Finanzierung der Haushaltsdefizite der Mitgliedsländer dienten) demonstriert hat.

Die EZB hat damit wie eine „normale“ Zentralbank eines souveränen Staates agiert und die einzelnen Euroländer vor der Zahlungsunfähigkeit geschützt. Natürlich lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob sie auch in Zukunft immer so handeln wird, aber eine radikale Abkehr von ihrer bisherigen Politik erscheint gegenwärtig unwahrscheinlich. Auf Deutschland bezogen heißt dies im Klartext: Solange die EZB bereit ist, deutsche Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt aufzukaufen, ist ein Staatsbankrott Deutschlands auch in der Eurozone ausgeschlossen.

Es wäre also falsch, die Beibehaltung der Schuldenbremse mit den Zwängen der Währungsunion begründen zu wollen. Die deutsche Schuldenbremse ist schlicht ökonomischer Unsinn. Eine unsinnige Regel aber lässt sich nicht reformieren – sie muss ersatzlos gestrichen werden.

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[1] Der Multiplikator besagt, dass ein Zusammenhang zwischen zusätzlichen Investitionen und Einkommenszuwachs existiert. Eine anfängliche Steigerung der Investitionen bringt nach einer Reihe von Perioden eine mehrfach so große Erhöhung der Konsumausgaben und des Einkommens hervor. Denn Investitionsausgaben stellen für die Empfänger der Ausgaben Einkommen dar. Die Empfänger werden einen großen Teil ihres Einkommenszuwachses für Konsumgüter ausgeben. Diese Konsumausgaben bedeuten für die Beschäftigten in der Konsumgüterindustrie zusätzliches Einkommen; auch sie werden einen Großteil ihres Einkommenszuwachses wieder für Konsumgüter ausgeben usw.
[2] Vgl. Munnell, A.H. (1990): Why Has Productivity Growth Declined? Productivity and Public Investment, in: New England Economic Review, Federal Reserve Bank of Boston, issue Jan, S. 3-22; Lynde, C./Richmond, J. (1992): The Role of Public Capital in Production, in: The Review of Economics and Statistics, Vol. 74 (1), S. 37-44; Lynde, C./Richmond, J. (1993): Public Capital and Total Factor Productivity, in: International Economic Review, Vol. 34 (2), S. 401-414; Nourzad, F./Vrieze, M.D. (1995): Public Capital Formation and Productivity Growth: Some International Evidence, in: Journal of Productivity Analysis, Vol. 6 (4), S. 283-295; Heintz, J. (2010): The Impact of Public Capital on the US Private Economy: New Evidence and Analysis, in: International Review of Applied Economics, Vol. 24 (5), S. 619-632. Vgl. auch die Meta-Analyse von 68 vorherigen Studien, durchgeführt von Bom, P.R.D./Ligthart, J.E. (2014): What Have We Learned from Three Decades of Research on the Productivity of Public Capital?, in: Journal of Economic Surveys, Vol. 28 (5), S. 889-916.
[3] Unter einer Meta-Regression ist ein wissenschaftlicher Ansatz zur Forschungssynthese und quantitativen Bewertung der Evidenzbasis zu verstehen. Meta-Regressionen ermöglichen eine systematische Überprüfung von Forschungsergebnissen, die Prüfung von Theorien und die Korrektur von Verzerrungen, welche die berichteten ökonometrischen Schätzungen beeinträchtigen. Zum Verfahren der Meta-Regressionsanalyse siehe Stanley, T.D./ Doucouliagos, H. (2012): Meta-Regression Analysis in Economics and Business, New York.